Leben

Leben 1
Autorin, Wortbewegerin, Mutter, Ehefrau, Sinnsucherin, Oma.

Ausbildung
Im Leben und durchs Leben.

Weiterbildung
Erfahrung durch Tun und Handeln, wie auch durch Nichttun und Nichthandeln.
In diversen wissenserweiternden Kursen.
In Partnerschaft, Familie und mit Kindern.
Suche nach der Einheit von Körper, Seele, Geist.

Heutiger Stand
Achtsamer Umgang mit der Zeit.
Immer wieder der Versuch, mit dem Herzen zu hören, zu sehen, zu sprechen und zu fühlen.
Und so die Achterbahn des Lebens, mit Humor und einem Lachen zu meistern.

Leben 2
Barbara Saladin ist in Deutschland geboren und lebt nach vielen Jahren in Gossau heute in St. Gallen. Die Mutter von zwei erwachsenen Kindern und Oma von drei Enkelkindern hat sich seit 1985 intensiv der Sprache verschrieben. Von 1985 bis 1993 war sie Mitarbeiterin des St. Galler Tagblatts und von 1985 bis Ende 1993 auch für „Die Ostschweiz“ tätig. Hauptgewicht Porträts und Lebensgeschichten von Menschen (220 Interviews), sowie Reportagen und Glossen. Mitorganisatorin des „Nachtcafé“ in Flawil. Seit 1986 schreibt sie Kurzgeschichten, Gedichte und Kurztexte.

Bisher sind drei Bände mit Weihnachtskurzgeschichten erschienen. Weihnachten – heute 2 + 3 sind noch erhältlich. 15 Fabeln: Miteinander geht’s besser. 18 Farbgeschichten: Die Farbe des Himmels. 20 Lebensgeschichten: Sie hatte alles. Sowie Geschichten um den Gossauer Chläusler: Chläusler oder… und 25 Versuche über den Tag mit: Tage gibts. Seit Herbst 2016 77 Wohlfühl – Geschichten mit: Babo auf dem Weg.
Auf vielfachen Wunsch eine CD mit Weihnachtskurzgeschichten und daneben diverse Veröffentlichungen in verschiedenen Anthologien.

Leben ausführlich
Ein Interview im Sommer 2020 von Andrea Sterchi für Frauenspur Gossau

Barbara Saladin-Haas 10.6.1942

Geschichten brauchen Luft und Raum

Ein Gespräch mit der Autorin und Wortkünstlerin Barbara Saladin über ihre Kindheit und ihr Leben, ihre Liebe zum Schweizerdeutsch und darüber, was das Schreiben für sie bedeutet.

Barbara Saladin, du bist in der Nähe von Köln in einem kleinen Ort namens Schlebusch aufgewachsen. Es herrschte Krieg. Woran erinnerst du dich in diesen ersten Lebensjahren?

Barbara: Meine Familie hat in einer Villa neben einem Textilbetrieb gewohnt. Mein Vater war Betriebsleiter. Die Gefahr von Bombenanschlägen war allgegenwärtig. Drei Jahre bis 1945 bin ich in diesem Tohuwabohu aufgewachsen. Ich erinnere mich an die Sirenen und daran, dass wir – ich habe zwei ältere Brüder, meine Schwester wurde nach dem Krieg geboren – jeweils sofort in den Keller geschickt wurden. Einmal haben sie mich oben im Zimmer vergessen, sie haben mich dann aber sofort geholt.

Das Elternhaus in Schlebusch

Eine prägende Erinnerung. Gibt es mehr davon – ans Leben mitten im Krieg?

Barbara: An einiges kann ich mich selber erinnern, anderes haben sie mir erzählt. Zum Beispiel wie ich zu keuchen begonnen habe, wenn ich schrie. Vermutlich hatte ich einen Vitamin-D-Mangel, sie brachten mich dann ins Kinderspital in Köln. Zu dieser Zeit wurde Köln immer wieder schwer bombardiert. Ich erinnere mich nur schwach daran und doch hat es mich geprägt. Sobald ich Sirenen höre, werde ich panisch. Eine Angst, die mich viele Jahre begleitet hat.

Gibt es auch schöne Erinnerungen? 

Barbara: Ich erinnere mich sehr gut an den ersten Karnevalsumzug in Köln. Wir standen auf den Trümmern des Hauptbahnhofs. Damals war ich fünf oder sechs Jahre alt und durfte meinen allerersten Luftballon aussuchen. Er war grau, nicht farbig, und vor lauter Freude liess ich ihn plötzlich los. Weil er mit Gas gefüllt war, flog er natürlich sofort weg. Ich war untröstlich. Alles in allem hatte ich eine schöne Jugend. Unser Haus stand mitten in einem kleinen Park. Dies war sehr friedlich und auch das Dorf Schlebusch war schön. Jahre später besuchte ich es mit meinem Mann.

Was hatte sich verändert?

Barbara: Vieles. Ich ging durchs Dorf auf der Suche nach unserer Villa. Die war weg. An ihrer Stelle standen Wohnblöcke. Ich dachte, ich sei gar nie geboren worden. Wo war der Kolonialwarenladen, wo es immer nach Klümchen und Kartoffeln gerochen hatte? War alles nur ein Traum gewesen? Mein Schlebusch gab es nicht mehr.

Wie hast du dies verarbeitet?

Barbara: Ich habe über meinen Besuch geschrieben, darüber, wie mir das Dorf erschienen ist. Dann habe ich den Text an die lokale Zeitung geschickt. Und die waren begeistert und bedankten sich. Das ist meine Art, das Erlebte zu verarbeiten.

Was hast du von deinen Eltern über das Leben gelernt?

Barbara: Mein Vater war ein grosszügiger Mann. Er hat uns Kindern vieles erlaubt. Meine Brüder durften mit dem Unimog herumfahren. Mein Vater hat sich gut um die Familie gekümmert. Nach dem Krieg, als das Essen knapp war, ist er umhergefahren und hat Stoffe gegen Lebensmittel getauscht. Daran erinnere ich mich sehr gut. Zudem haben wir Kinder eine gute Schulbildung genossen. Meine Brüder, und auch ich, machten die Matura. Für meinen Vater als Nicht-Akademiker war dies selbstverständlich, sogar für mich als Mädchen.

Bist du gerne zur Schule gegangen?

Barbara: Ich sage es einmal so, ich wäre im heutigen Schulsystem sicher lieber gegangen. Heute wird die Eigeninitiative sehr unterstützt. Das hätte mir gefallen. Aber damals war das nicht so. Alles war verboten. Das darf man nicht, jenes nicht, bei den Nonnen sowieso. Wobei ich sehr nette Klassenlehrerinnen gehabt habe. Nur war das ganze Schulsystem damals auf das Auswendiglernen auf das Runterrasseln ausgelegt, nur dann gab es gute Noten. Dies war gegen meinen freien Geist.

Was meinst du mit «freien Geist»?

Barbara: Für mich heisst das, die Fantasie walten lassen. Nicht einfach nur etwas annehmen. Ich bin oft gegen den Strom geschwommen. Ich denke über viele Dinge nach, die mir begegnen. Ich akzeptiere nicht einfach – ich bin keine Ja-Sagerin. Manchmal kommt dann etwas ganz Anderes heraus. Ich glaube, dass es das Mitdenken braucht. Ich bin oft angeeckt. Damals noch viel mehr als heute – altersbedingt. Heute nimmt man gewisse Meinungen von mir eher ernst. Früher war es vor allem für Mädchen schwierig, sich durchzusetzen. 

Im Gymnasium konntest du deinen freien Geist also nicht ausleben?

Barbara: Nein. Ich ging in Aachen zu den Ursulinen ins Gymnasium, ein MädchenGymnasium. Damals durften wir dort keine Hosen tragen. Vor der Schule haben wir die Röcke aus dem Tornister geholt und uns umgezogen. Ich fand das damals schon so etwas von daneben. Ich besuchte den Typus mit Latein, lernte Englisch und Französisch. In Latein war ich schlecht. Mann musste einfach Verben auswendig lernen. Auswendiglernen ist mir zutiefst zuwider. Ich habe eine zu rege Fantasie, bei allem kommt mein eigenes Denken und Fühlen, meine Kreativität zum Tragen. Beim Auswendiglernen kann ich nichts beitragen. Ich habe nichts gelernt in Latein. Auch war ich nicht immer zufrieden mit den Noten, die ich für meine Aufsätze erhielt. Irgendwann sagte ich mir: Jetzt reichts.

Gegen den Willen deiner Eltern hast du das Gymnasium abgebrochen. Wie ging es weiter nach der Schule?

Barbara: Mit 18 Jahren lernte ich meinen Mann kennen. Er kam aus Gossau SG. Zusammen mit meinem Bruder besuchter er die Textilingenieurschule. Ich ging zu jener Zeit in eine Handelsschule. Wir waren schon da befreundet. Hin und wieder besuchte ich die Schweiz. Mein Mann begann nach dem Studium im Familien-Textilbetrieb in Arnegg zu arbeiten. Es stellte sich also die Frage, wie es weitergehen sollte. Mein Mann meinte, ich sollte nach St.Gallen kommen. Also habe ich mich nach einem Job umgesehen, zum Beispiel in einer Buchhandlung. Und Herr Fehr von der Fehrschen Buchhandlung in St.Gallen wollte mich haben, und erst noch, weil ich Latein hatte. Wir waren da aber bereits verlobt und haben kurz darauf geheiratet – im Jahr 1964. In der Fehrschen Buchhandlung habe ich letztlich nie gearbeitet. Ein Jahr nach der Heirat bekamen wir unser erstes Kind, 1965 eine Tochter und zwei Jahre später einen Sohn.

 Barbara und Franz Saladin-Haas, 1964 

Tochter (1965) und Sohn (1967)

So kamst du in die neue Heimat. Wie hast du die Schweiz erlebt, als du 1964 hergezogen bist?

Barbara: Mein Mann hatte mich gewarnt. Ich solle nicht eingeschnappt sein, wenn es heisst: «Cheibe Dütschi!» Mir wurde schnell klar, dass ich Schweizerdeutsch lernen musste. Heute fragen mich viele Leute, ob ich aus dem Bündnerland oder der Westschweiz komme. Aber Negatives habe ich nie gehört und erlebt – in all diesen Jahren. 

Schweizerdeutsch zu lernen, fiel dir nicht schwer. Du hast dich schon früh für Sprachen interessiert. Wie kam es dazu?

Barbara: Ich habe ein Musikgehör. Schweizerdeutsch habe ich bald verstanden. Und mit meiner Fantasie war es einfach, gewisse Worte herzuleiten. Ich habe zudem eine grosse Freude an Spezialausdrücken. 

Von der Freude an Sprachen und Worten ging es einen Schritt weiter. Barbara die Autorin – wann nahm dies seinen Anfang?

Barbara: Schon in der Schule habe ich gemerkt, dass ich zu jedem Thema etwas schreiben konnte. Grammatikalisch manchmal fehlerhaft, aber meine Fantasie liess mich nie im Stich. Früher gab es die Rubrik im Tagblatt «Mit den Augen einer Frau» oder so. Da habe ich mir gedacht, das kann ich auch. Auch wenn ich es noch nie gemacht hatte. Eines Tages schickte ich einfach einige Texte an die Redaktion. Die Rückmeldung war sehr gut. Ich solle mich bei Herbert Bosshard melden. Der baue gerade die Redaktion in Gossau auf. So habe ich zusammen mit ihm für die Zeitung gearbeitet. Er schenkte mir Vertrauen. So habe ich begonnen. Mit G(l)ossau und Theobald – einer Idee von mir. Heute muss nichts mehr mit meinem Namen erscheinen. Ich habe sehr viele Texte geschrieben. Humor, Satire und Glossen zu schreiben, das macht mir Freude. Ich habe diese humorvolle Seite in mir. Früher war es noch etwas mehr Satire. Heute muss ich nichts mehr – ich schreibe versöhnlicher.

Eine Spezialität von dir sind Porträts. Erinnerst du dich an dein erstes?

Barbara: Mit den Porträts begann ich 1984. Das erste war mit Vreni Schaller, die Frau von

Alois Schaller. Ich fragte sie spontan an und sie sagte sofort zu. Alois Schaller war Religionslehrer und initiierte den Bibelgarten. Unter dem Motto «Frauen, die ihre Frau stellen» habe ich ungefähr 60 bis 65 Porträts geschrieben. Es gab immer wieder interessante Frauen, die aber nicht in die Zeitung wollten. Diese Entscheide galt es zu respektieren.

Du hast aber nicht nur journalistische Texte geschrieben, sondern auch Literatur.

Ja. Mein literarisches Schreiben begann mit Weihnachtsgeschichten für meine Kinder. Sie waren damals zwischen 12 und 14 Jahre alt. Ich suchte in den Buchhandlungen nach Geschichten für dieses Alter. Da ging es meistens um arme Kinder in Russland, die kaum etwas zu essen hatten und vielleicht ein Paar Wollsocken zum Fest bekamen. Das war es nicht. Und so keimte in mir die Idee: Ich schreib sie selber ! Es sollten Geschichten von heute sein für Menschen, die hier leben. So entstanden die ersten 15 Weihnachtsgeschichten, die dann im zyt-los Verlag erschienen. Am Schluss waren es drei Bücher mit dem Titel «Weihnachten – heute». Eine Frau hat mir einmal an einer Lesung gesagt, dass es Weihnachtsklassiker sind. Danach kamen noch die Fabeln, in denen Tiere feststellen, dass es miteinander besser geht. Doch es geht immer um Menschen in ihrer ganzen Farbigkeit. Wie in «Die Farbe des Himmels

Und wann entstanden die Chläusler-Geschichten?

Barbara: Sie kamen später dazu. Sie entstanden, als mich Herbert Bosshard anfragte, ob ich nicht eine Chläusler-Geschichte hätte. So schrieb ich die erste. Und wenn ich einmal anfange, dann gibt es eine um die andere. So sind zehn Chläusler-Geschichten entstanden. Die Stadt Gossau hat das Projekt finanziell unterstützt. Das Buch «Chläusler» konnte ich auch teilweise an Firmen in Gossau und an Banken verkaufen.

Du bist sozusagen ins Schreiben hineingerutscht? 

Barbara: Das kann man so sagen. Die ersten Texte habe ich Michael Guggenheim zum Lesen gegeben. Er schrieb fürs Tagblatt und gab Schreibwerkstätten. Ich besuchte eine in Wil, um einmal eine Resonanz zu erhalten. Er war hochbegeistert von meinen Geschichten und ermunterte mich, weiterzumachen. Ich habe intuitiv geschrieben und nie einen Kurs besucht. Vieles war «learning by doing».

Job und Familie unter einen Hut zu bringen, war damals bestimmt nicht einfach, oder?

Barbara: Damals war mir wichtig, wieder in den Berufsalltag einzusteigen. Schreiben ist eine Arbeit, die man gut von zu Hause aus erledigen kann. Ein Interview von ein bis zwei Stunden lässt sich problemlos organisieren. Alles in allem habe ich wohl rund 220 Leute interviewt. Die fertigen Texte erschienen im St.Galler Tagblatt. Zudem schlug ich die Serie «Gossau wie es einmal war» der «Ostschweiz» vor. Rund 30 bis 35 Porträts sind so entstanden. Danach hatte ich ebenfalls in der Ostschweiz die Rubrik «Zwischendurch». Kurze Interviews für den Mittag, für zwischendurch. Kurz, knapp und spannend.

Das sind wahnsinnig viele Frauen-Porträts und persönliche Geschichten. Was geschieht damit?

Barbara: Grundsätzlich bin ich froh, dass ich meine vielen Porträts ins Frauenarchiv geben kann und dass diese weiterhin bestehen bleiben. 

Spannende Projekte begleiten dich bis heute. Ein aktuelles ist die Aufarbeitung von Rösli Kruckers Leben?

Barbara: Ja, dies ist wahrlich ein spannendes Projekt. Rösli Krucker schreibt kurze Geschichten – alle Geschichten sind aus ihrem Leben. Sie schreibt jedoch von Hand. Friedy Trottmann digitalisiert die Daten und schreibt die Geschichten ab. Ich versuche zusammen mit Friedy die kurzen Geschichten in eine sinnvolle Abfolge zu bringen. Rösli Krucker ist bald 90 Jahre alt. Wir helfen ihr dabei, ihr Leben anhand ihrer Geschichten und Gedichte aufzuzeichnen. Wir versuchen, ihrem Stil der aneinandergereihten Geschichten treu zu bleiben, und so eine von ihr geschriebenen Lebensgeschichte zu entwerfen.

Schreiben ist dein Hobby, dein Beruf, deine Leidenschaft? 

Barbara: Ja. Schreiben ist viel mehr als mein Hobby. Aber auch harte Arbeit, Knochenarbeit.

Vor zwei Jahren drehte sich mein Leben um 180 Grad. Da war ich kurz vor einem Burnout. In Zeiten, in denen du ins Bodenlose fällst, ist Schreiben fast nicht möglich. Jetzt fange ich wieder an, mich meinen Geschichten zu widmen. Es macht mir wahnsinnig Freude, denn es ist ein Teil von mir. Geschichten brauchen Luft und Raum – nur so können sie entstehen. Es gibt Zeiten, da ist eine Geschichte plötzlich da. Also setze ich mich hin und beginne zu Schreiben. Denn morgen ist sie wieder weg. Es kann eine ganz andere Geschichte werden und sich völlig verändern. Das geschieht spontan, zum Beispiel während des Schreibens einer Geburtstagskarte für eine Freundin.

Hat sich dein Schreiben über die Jahre verändert? 

Barbara: Ich denke schon. Ich bin jemand, der eher zum Konzentrat neigt. In meinem Literaturklub, wenn die Leute etwas Selbstgeschriebenes bringen und vorlesen, dann ist immer die erste Frage in meine Richtung: Kann man da noch etwas streichen? Alle lachen und wissen, jetzt kommt wieder etwas. Das Konzentrat verhilft einem dazu, dass man sich wirklich darüber im Klaren ist, was man schreibt. Ergibt das einen Sinn? Stimmt das? Ist das stimmig? Je kürzer die Form ist, desto stimmiger muss es sein. 

Bist du selber zufrieden mit deinen eigenen Texten? 

Barbara: Ich schreibe von Hand, immer. Ich komme aber nicht immer sofort dazu, die Texte im Computer zu erfassen. Dann lasse ich sie liegen – manchmal ein, zwei Monate lang. Danach lese ich sie nochmals durch. Ganz nach Elias Canetti, der einmal gesagt hat, man solle die Texte wie unreife Äpfel einfach hinlegen und reifen lassen. Dies dauert manchmal ein halbes Jahr lang. Man nimmt den Text wieder hervor und es ist ein fremder Text. So sehe ich, was mir gefällt und was nicht so gut ist. Ich bin kritisch mit mir. Der Text soll spannend sein für die Lesenden. Je älter ich werde, desto wichtiger scheint es mir, dass der Text etwas auslöst. Es geht mir um das Thema, die Geschichte. Die Geschichte, ob sie jetzt von mir ist oder von jemand anderem, sie sollte aufgehen und sollte vielleicht auch erfreuen oder zum Nachdenken anregen. 

Du erwähnst deinen Literaturklub. Wie und wieso gründet man einen solchen?

Barbara: Der Literaturklub ist einfach so entstanden. Nach einer Lesung im Tertianum kamen einige auf mich zu und fragten, ob ich nicht so etwas wie einen Literatur-Club machen könnte. Zusammen Bücher zu lesen, gibt mir jedoch keinen Mehrwert. Wenn, dann beschäftigen wir uns mit Worten. Was sind Worte? Wie bewegen Worte? Wie Sprache finden? Ich will immer andere dazu motivieren, ihre eigene Sprache zu finden. So trafen wir uns einmal im Monat im Tertianum. Das war 1995. Parallel dazu habe ich einen Literaturklub in Gossau gegründet. Diesen gibt es noch heute. Zwischen sieben und zehn Frauen nehmen daran teil. Verschiedene Frauen kommen zusammen, von Winterthur übers Rheintal bis ins Toggenburg. Sehr spannend.

Da war auch Rösli Krucker mit dabei, oder?

Barbara: Ja, sogar 20 Jahre lang. Ihre grosse Leidenschaft sind Dialektwörter. Sie kannte noch Ausdrücke, die man heutzutage gar nicht mehr gebraucht. Bei den jüngeren Personen löste dies jeweils Erinnerungen an ihre Grosseltern aus. Rösli staunte immer darüber, dass mich als Deutsche der Dialekt so interessiert. Mit der Nationalität hat dies nichts zu tun. Schweizerdeutsche Ausdrücke kommen auch bei Dürrenmatt immer wieder vor. Ein spannendes Thema also, das mich fasziniert. 

Neben dem Literatur-Club war auch die «Co-Autorenschaft» ein spannendes Projekt. Worum ging es und wie kam es dazu?

Barbara: Wir waren vier Frauen und hatten gemeinsame Auftritte. Das war zwischen 1994 und 1998. Wir schrieben miteinander zu einem Thema. Später trugen wir unsere Texte und Gedicht an Lesungen vor. Dieses kreative Miteinander ging drei oder vier Jahre. CoAutorenschaft ist ein schwieriges Thema. Vor allem, wenn jede eine völlig andere Sicht der Dinge hat. Die Bücherschachtel «Vier und weit Meer» wurde schliesslich im SABA – Verlag herausgegeben. Es ging finanziell grad auf mit den Lesungen und dem Verkauf.

Die «Schachtelweiber» Gabriele C. Leist, Lisa Tralci, Marie-Claire Baumann, Barbara Saladin (11.11.1995)

 Das war aber nicht alles. Dann kam das Nachtcafé in Flawil dazu.

Barbara: Genau, neun Jahr habe ich das Nachtcafé zusammen mit Helga Giger geleitet. Jedes Jahr haben wir rund vier bis fünf Treffen organisiert. Dazu kam die Ostschweizer Poetry Nights, welche wir einmal jährlich durchgeführt haben. Da konnten alle, die gerne schrieben, ihre Texte bringen. Wir haben interessante Frauen eingeladen. Zum Beispiel Aglaja Veteranyi. Das war eine sehr spannende Frau mit ihren Büchern. Auch die Schauspielerin Regine Weingart war bei uns. Und Unternehmerinnen, Liedermacher und Liedermacherinnen, Autorinnen und Verlagsmitarbeitende. Wir wollten Frauen die Möglichkeit geben, sich zu präsentieren. Eine tolle Sache, die für mich nach neun Jahren zu Ende war.

Haben dich politische Texte nie gereizt?

Barbara: Dazu habe ich wohl eine zu grosse Fantasie. Politische Texte sollen korrekt sein und stimmen. Nein, sie haben mich nie gereizt. Und ich habe lieber Theaterstücke geschrieben. Mir liegen Dialoge. Die entstehen ganz einfach. Ich schreibe sie rein intuitiv, ich kann nicht erklären, wieso ich das kann. Da fliesst es einfach. 

Barbara Saladin – die Krimi-Autorin? Was steckt dahinter?

Barbara: Ich habe eine Namensvetterin, die Krimis schreibt. Das führte oft zu Verwechslungen. So verweisen wir gegenseitig auf unseren Websites aufeinander. Wir haben noch mehr Gemeinsamkeiten: Wir haben den gleichen Bürgerort. Auch sie ist dunkelhaarig und gross – wie ich, sie schreibt jedoch ganz anders. Inzwischen hört man nichts mehr von ihr. Sie hat mir damals ihr Buch geschenkt und ich ihr meines. Würde ich heute noch für die Zeitung schreiben, wären die beiden Autorinnen mit dem gleichen Namen eines der ersten Dinge, über die ich berichten würde.

Schreibt eines deiner Kinder? Hast du dieses Talent weitergegeben?

Barbara: Nein. Sie haben gerne gelesen. Sie bekamen natürlich alle Bücher dieser Welt von mir. Das ist klar. Mein Sohn sagte mir letzthin, dass er wegen mir heute so gerne liest. Er hat ein uraltes Foto ausgegraben, auf dem wir nebeneinandersitzen und ein Buch anschauen.

Kommen wir auf deine Babo-Geschichten – wie sind diese entstanden?

Barbara: Ich schreibe gerne Kurzgeschichten, die noch etwas Fleisch am Knochen haben. Die Babo-Geschichten haben diese Länge, ich kann sie gar nicht ändern.

Kannst du dich bei Kurzgeschichten am meisten ausleben? 

Barbara: Ich glaube schon. Die Babo hat sich ergeben. In früheren Mythen war es immer der Held, der in die Welt hinaus ging und das eine oder andere erlebt hat. Nie war es eine Frau. Die Babo ist eine Frau, die in die Welt hinausgeht und unterwegs alles Mögliche erlebt.

Wer ist Babo? 

Barbara: Viele fragen, ob Babo für Barbara steht? Ehrlich gesagt, ich weiss es nicht. Babo gibt es aber. Eine Urmutter von irgendwo. Wenn ich jetzt eine Geschichte schreibe, ist das immer Babo, die sich irgendwelche Gedanken macht oder der etwas passiert. Es hat sicher viel von meinem Denken drin in den Geschichten. Von meinem Denken kann ich ja nicht absehen. Die Geschichten sind aber überhaupt nicht autobiografisch. Ich bewundere den Mut von Babo und wünschte, ich wäre in diesem Alter so mutig gewesen und hätte so viel erlebt. Was ihr alles passiert unterwegs. «Babo auf dem Weg» sind 77 Geschichten und ich habe natürlich weitergeschrieben.

Wie geht es weiter mit Babo?

Barbara: Ich suche eine Person, die die Babo-Geschichten mit den neuen Medien veröffentlicht. In meinem Alter möchte ich mich darin nicht mehr vertiefen. Es gibt heute so viele Möglichkeiten, dass ich denke, die Geschichten sollten in die Welt hinaus. Und da braucht es eine Person, der die Geschichten gefallen, die dahintersteht und mir dabei hilft. Ich bin auch bereit, was immer sich da ergibt, zu teilen. Ich muss damit nicht Gott weiss wieviel Geld verdienen. Ich weiss einfach, dass sie in die digitale Welt hinaus sollen. 

Babo 4.0 wie man so schön sagt?

Barbara: Genau. Das Schöne an den Geschichten ist, dass sie so vielfältig sind. Und in ihrer Art eine Antwort auf den Zustand unserer Welt gibt. Es hat für jede eine Geschichte drin und das würde in die heutige Welt passen. 

Wärst du manchmal gerne selber mehr durch die Welt gereist? Wie Babo?

Barbara: Ich war früher vom Denken und Fühlen her frei und wäre mit meinem Mann auch nach Australien gezogen. Eine Reise bedeutet für mich immer wieder neue Inspirationen. Sie ermöglicht neue Erkenntnisse. Es gab Orte, die wollte ich unbedingt sehen. Wir haben Südamerika und China bereist – mitten in der Revolution 1989. Wir waren Augenzeugen und sind mit den letzten Flugzeug ausgeflogen. Wir hatten gespürt, dass sich etwas zusammenballt. Heute im Alter merke ich, dass Hawaii irgendwie auch daheim sein kann.

Wie das?

Barbara: Es liegt an jedem von uns, was man aus dem eigenen Zuhause macht. Ob man nur in den eigenen vier Wänden sitzt oder hinausgeht unter die Leute. Hawaii kann ohne weiteres in St.Gallen sein. Reisen ist für mich heute nicht mehr vordergründig wichtig. In meiner Fantasie darf alles geschehen. Wie bei Babo, die sich auf einer Reise befindet. Ich habe eine Idee. Dann fange ich mit dieser Idee an. Sie entwickelt sich manchmal in eine Richtung, die hätte ich mir vorher nie vorgestellt. Ich sage dann nicht, ich hatte eigentlich etwas anderes im Sinn. Ich lasse mich darauf ein, es schreibt und irgendwann kommt sie zu einem Schluss, der auch für mich überaus überraschend ist.

Notiert: Andrea Sterchi, Mitarbeit: Jeanine Kobler

Gossau, 15.8.2020

 

Bücherliste

Weihnachten – heute

Weihnachten – heute 2

Weihnachten – heute 3

CD Weihnachten – heute, 7 Weihnachtsgeschichten

Miteinander geht’s besser

Sie hatte alles

Cläusler oder…

Die Farbe des Himmels

Schachtelweiber Vier und weit Meer

Tage gibts

Babo auf dem Weg

https://www.frauenspur-gossau.ch